Wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte: „Du musst deine Selbstwahrnehmung stärken!“, hätte ich ihm/ihr wahrscheinlich einen Vogel gezeigt. Da habe ich noch nicht erkannt, wie wichtig das Thema für mich ist. Ich hätte allerdings einiges verhindern können, was im Nachhinein natürlich immer leicht gesagt ist. Ich bekam den Hinweis natürlich nicht. Ich bekam nur von engen Freunden und Familienangehörigen Hinweise wie „Du arbeitest zu viel!“ und „Willst du dir das wirklich antun?“
Mein Verlust der Selbstwahrnehmung und wie es dazu kam
Es fing damit an, dass ich während des Masterstudiums an einem Lehrstuhl als wissenschaftliche Hilfskraft anfing. Da für mich eine wissenschaftliche Laufbahn auch in Frage kam, war ich damit anfangs sehr glücklich. Als quasi rechte Hand der Vorgesetzten bekam ich schnell viele Aufgaben und Verantwortung aufgeladen. Damit kam aber auch der Druck. Innerhalb von wenigen Wochen gehörte ich zum Inventar am Lehrstuhl und konnte nachts nicht mehr schlafen aus Angst, meine Projekte nicht zu schaffen.
Diese Zeit war im Herbst, wo die Sonnenstunden sowieso rarer werden und sich die Laune der meisten Menschen verschlechtert. Hinzu kam, dass ich zur Uni pendelte und dadurch noch eine Extrabelastung hatte. Mit jeder Stunde, die ich für den Lehrstuhl arbeitete, sowohl am Wochenende, an Feiertagen, abends und nachts in Gedanken, ging mein Gespür für mich selbst immer mehr verloren. Nach einigen Monaten war es mir völlig abhanden gekommen. Ich hatte einfach zu viel Stress, zu viel und zu persönlichen Kontakt mit meiner Vorgesetzten und konnte mich dem nicht mehr entziehen. Es geht bestimmt vielen Berufseinsteigern so: Man will nicht gleich am Anfang die weiße Fahne hissen, sondern sich beweisen. Die Arbeit macht ja auch Spaß und „es wird ja auch wieder ruhiger“. Wurde es nicht.
Irgendwann hat der Angestellte seine Vorgesetzten auch mit einem Arbeitspensum verwöhnt, dass er/sie schlecht wieder zurückfahren kann. Wie will man erklären, dass man plötzlich auf die Work-Life-Balance achten will? Man erfüllt also aus Druck und Höflichkeit alle Anforderungen und stellt sich selbst hinten an. Das macht man im schlimmsten Fall, bis man nicht mehr kann. So ging es mir.
Wenn ich an früher denke, erinnere ich mich, dass ich die Probleme nicht hatte. Ich hatte einen guten Kontakt zu mir selbst, vor allem durch das Joggen durch die Natur, wo ich mir immer gut zuhören und über viele Dinge nachdenken konnte. Das war im Alter von ca. 14 bis 18 Jahren. Im Bachelorstudium behielt ich mir das bei und musste mich auch nicht quälen, wenn ich keine Lust zu lernen hatte. Ich war selbstdiszipliniert genug, die Phasen zu nutzen, in denen ich mich für die Uni motivieren konnte. Wenn ich keine Lust auf den Stoff hatte, ging ich raus in die Natur. Ich wusste, wo ich hinwollte und war sozial sehr gut eingebunden. Rückwirkend sagen viele Menschen, dass das Studium die beste Zeit ihres Lebens war. Daran ist viel Wahres dran. Schließlich haben wir selten wieder so viel Freizeit, soziale Kontakte und im Idealfall geistige Bereicherung.
Einige Jahre später war mir dieser Kontakt mit mir selbst abhanden gekommen. Ich hetzte zur Uni, zur Vorlesung, zum Lehrstuhl, nach Hause. Ich konnte nicht mehr schlafen und meine Freizeit auch nicht mehr genießen. Die Arbeit ließ mich nicht mehr los – und das, obwohl ich gerade mal eine Hilfskraft, gemeinhin „Hiwi“ genannt, war.
Woran du eine schlechte Selbstwahrnehmung erkennst
Um das Vorangegangene kurz zusammenzufassen, sind folgende Indizien für eine eingeschränkte Selbst- oder auch Eigenwahrnehmung zu nennen:
- ich spürte mich nicht mehr,
- ich arbeitete bis tief in die Nacht,
- ich merkte nicht, wenn ich müde war und konnte dann nicht schlafen, als ich viel zu spät im Bett lag,
- in der freien Zeit wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte,
- ich wusste nicht mehr, was mir Freude bereiten konnte,
- ich pflegte keine Hobbies mehr,
- ich hatte wenig Kontakt mit Freunden,
- ich fühlte mich chronisch überlastet,
- ich hatte das Gefühl der Sinnlosigkeit meiner Arbeit,
- ich kam mir machtlos vor, um meine Situation zu ändern,
- ich fragte mich, ob das alles gut für mich ist und wie lange ich das durchhalten würde,
- ich wusste nicht mehr, ob ich das Alles überhaupt wollte, nachdem ich „da so reingeschlittert“ war.
Meine Selbstwahrnehmung flackerte zwar in akuten Stresssituationen auf. Allerdings merkte ich dann lediglich Panik und Hektik. Das waren diese Momente, in denen ich über den Gang rannte und den Gedanken beiseite schob, auf die Toilette zu gehen. Ich merkte keinen keinen Hunger oder Durst, bzw. erlaubte mir dies nicht. Abends ging ich völlig erschöpft und unzufrieden nach Hause, legte mich auf die „Ladeschale“ der neuen Zeit (meine Couch) und hatte das Gefühl, mich keinen Millimeter mehr bewegen zu können. Ich war auch geistig ausgelastet. Ich wollte mich um nichts Privates mehr kümmern, wie Geburtstagsfeiern, Geschenke, etc.
Es muss nicht immer zum absoluten Erschöpfungszustand kommen. Mir erging es allerdings so, weil ich diese Belastung monatelang auszuhalten versuchte. Was dann passierte, werde ich an anderer Stelle nochmal ausführlicher darstellen. Wenn du das Gefühl hast, deine Selbstwahrnehmung ist ebenfalls nicht so, wie sie sein sollte, dann möchte ich dir einige Tipps geben, wie du dich wieder besser spüren kannst.
Das A und O: Selbstwahrnehmung wieder herstellen
Meine Erfahrungen klingen „einfach nur“ nach einer Überlastung auf Arbeit. Du fragst dich vielleicht, warum ich den Zusammenhang mit Selbstwahrnehmung herstelle. Das liegt daran, weil ich nie in diese Überlastung und Erschöpfung geraten wäre, wenn ich besser auf mich gehört hätte. Diese Erkenntnis möchte ich weitergeben. Du wirst mit einer guten Selbstwahrnehmung nicht nur wahrscheinlicher einen Burnout vermeiden, sondern auch zufriedener und glücklicher sein können.
Selbstwahrnehmung ist wichtig, weil unsere Gefühle Ausdruck unserer Bedürfnisse sind. Wenn du Hunger hast, hast du das Bedürfnis etwas zu essen. Wenn du einsam bist, spiegelt das dein Bedürfnis nach sozialen Kontakten wider. Wenn du wütend bist, musst du mal Dampf ablassen und einen Konflikt klären. Nur wenn wir unsere Bedürfnisse spüren, können wir diese auch erfüllen und für uns sorgen. Wir müssen für uns sorgen, denn niemand kann das so gut wie wir selbst. Warum? Weil niemand unsere eigenen Bedürfnisse so wahrnimmt wie wir selbst (im Idealfall).
Für viele klingt das egoistisch. Es ist aber auch Voraussetzung dafür, dass wir für andere da sein können. Meine Erfahrung ist, dass überlastete Freunde für andere nicht da sein können. Eltern, die mit sich zu tun haben, sind für Kinder nicht wirklich da. Verbitterte Großeltern interessieren sich weniger für ihre Kinder und Enkel. Indem wir für uns sorgen, können wir auch besser für Andere, unseren Partner und Freunde sorgen.
Um für sich zu sorgen musst du dich wahrnehmen. Wie kannst du diese Wahrnehmung deiner Selbst bzw. den Kontakt zu dir stärken?
1. Bewusstsein
Wichtig ist, sich seine Gefühle bewusst zu machen. Ich hätte mir ab und zu (aktiv) einen Moment der Ruhe verschaffen müssen (niemand wird für diesen Moment sorgen!), um zu spüren, wie es mir eigentlich geht. Ich hätte mir die Gelegenheit geben müssen, zu merken, wie ich unter Strom stand.
Bewusstsein ist immer der erste Schritt. Wenn du dich bei Fressattacken am Kühlschrank ertappst, ist auch hier der erste Schritt, sich seine Gefühle bewusst zu machen. Wahrscheinlich fühlst du dich schuldig. Warum? Weil du unkontrolliert isst. Warum? Weil … dir langweilig ist? Du dich einsam fühlst? Du frustriert bist? Warum? Diese Gedankenkette ist der Anfang, um etwas an der Situation zu ändern. Willenskraft allein („Ab morgen nie wieder!“) wird nicht ausreichen.
In der heutigen hektischen Zeit, in der oft der rationale Teil des Gehirns gefragt ist, schieben wir Gefühle oft als störend beiseite. Es ist nicht leicht, diese subjektiven Empfindungen wieder auszugraben und sich bewusst zu machen. Oft assoziieren wir das mit Schwäche. Schwäche ist aber, diese Gefühle überhaupt nicht mehr zu hören und in eine persönliche Krise hineinzuschlittern.
2. Tagebuch/Blog
Für ein regelmäßiges Bewusstsein kann ein Tagebuch hilfreich sein. Heutzutage kannst du natürlich auch einen Blog schreiben. Du musst ihn nicht öffentlich machen, sondern kannst ihn nur für dich schreiben. Vielleicht möchtest du ihn auch mit einer ganz bestimmten Person teilen. Das kann wiederum dazu motivieren, dass du auch wirklich regelmäßig und langfristig schreibst. Dabei geht es weniger darum, was du zu welcher Uhrzeit wo und wie gemacht hast, sondern wie du dich dabei gefühlt hast.
Menschen mit Essstörungen werden auch häufig zu einem Ernähungstagebuch animiert, in dem sie notieren sollen, wann sie wie viel und warum gegessen haben. War es wirklich Hunger? Einsamkeit? Wut? Sorge?
Auch bei einem anspruchsvollen Job tut es manchmal gut, die Emotionen festzuhalten und sich damit bewusst zu machen, warum du zum Feierabend schlecht drauf bist. Wer das lieber mit einer Freundin oder einem Freund persönlich oder am Telefon bespricht, kann dies natürlich auch tun.
3. Entspannungs-, Atemübungen und Meditation
Sich selbst zu spüren ist schon fast eine Kunst in Zeiten von Informationsflut und permanenter Erreichbarkeit. Selbst wenn wir einen Moment haben, in der Bahn, im Wartezimmer sitzen oder auf den Besuch warten, müssen wir uns permanent beschäftigen. Wir lesen Nachrichten auf dem Smartphone, zappen durch die Fernsehsender, checken soziale Medien oder schreiben Nachrichten. Oft sind wir von den ganzen Informationen aufgeladen und müssen vor dem Schlafengehen (um überhaupt schlafen zu können) erstmal runterkommen.
Entspannungsübungen können dabei helfen. Ich kann die Progressive Muskel-Relaxation nach Jacobson sehr empfehlen. Dabei legst du dich auf den Boden oder das Bett und schließt die Augen. Der Reihe nach spannt man jeweils einzeln ein Bein, das andere Bein, die Bauchmuskeln, die Arme usw. an und lässt nach ein paar Sekunden wieder locker. Nachdem du den Körper durchgegangen bist (inklusive Gesichtsmuskeln!), fühlt sich der ganze Körper entspannt an. Das liegt daran, dass es leichter ist, einen Muskel zu entspannen, nachdem er angespannt war. Wenn du diese Technik einige Monate lang im Idealfall mehrmals täglich übst, kannst du irgendwann diese Entspannung auch erreichen, wenn du dir nur vorstellst, du würdest die Körperteile anspannen und wieder entspannen. Somit wird die Technik dann auch für die Öffentlichkeit tauglich, wenn du in der Bahn sitzt oder im Wartezimmer.
Atemübungen sind eine weitere gute Ergänzung. Es reicht schon, bewusst in den Bauch zu atmen, die Augen zu schließen und sich auf den Atem zu konzentrieren. Im Alltag atmen wir oft eher oberflächlich in den Brustbereich. Tiefe Atemzüge in den Bauch (spürbar durch eine aufgelegte Hand) beruhigen und fahren den Puls runter. Du kannst variieren, wie lange du ein- und ausatmest. Manche schwören darauf, doppelt so lang aus- wie einzuatmen. Probiere am besten aus, was dir gut tut.
Wenn dir Entspannungsübungen gelingen und du dich für weitere Techniken interessierst, kannst du Meditation ausprobieren. In Kürze wirst du dazu auch Anleitungen auf diesem Blog finden. Wichtig ist: mach dir keinen Druck, wenn es nicht gleich klappt. Wie bei so vielen Dingen gehört Übung dazu. Die Trampelpfade im Gehirn müssen erst geschaffen werden. Je öfter du eine Technik übst, desto leichter wird es mit der Zeit werden. So kannst du dich dann auch in akuten Notsituationen gut runterfahren.
Tipp: Viele gute Anleitungen und Podcasts findest du auf yoga-vidya.de.
Erfahrungsgemäß hilft mir Entspannung und Meditation auch, wenn ich gereizt bin und zu schnell überreagiere. Wer einen anstrengenden Arbeitstag, ein unangenehmes Telefonat oder einen widerwilligen Familienbesuch vor sich hat, kann sich damit vorher beruhigen und stressresistenter werden.
4. Sport
Wer oft gereizt und unzufrieden ist, sollte sowieso Sport machen. Bei Bewegung werden Glückshormone freigesetzt. Du wirst merken, dass es dir besser geht, schon wenn du 20 oder 30 Minuten lang Sport gemacht hast. Außerdem baust du dadurch Spannungen ab.
Mir hat Joggen immer geholfen, um mir zuzuhören, in mich hineinzuhorchen und in Ruhe über Dinge nachzudenken. Wenn dir joggen zu anstrengend ist, kannst du auch spazieren gehen, Fahrrad fahren oder eine andere Sportart ausüben. In Gemeinschaft macht Sport manchen mehr Spaß. Das lenkt auch von Problemen ab, ist aber nicht ideal, um mit sich selbst zu kommunizieren. Probiere am besten aus, was dir gut tut.
Für Dauergrübler kann ein Individualsport wie Joggen auch gefährlich sein. Wenn du mit immer wiederkehrenden Sorgen zu kämpfen hast, die sich beim Alleinsein verstärken, solltest du vielleicht doch lieber zu zweit oder in einer Gruppe Sport machen.
5. Termine mit sich selbst
Wenn es dir schwerfällt, Zeit für dich freizuschaufeln, kann ein fixer Termin in der Woche nützlich sein. Schreibe dir den Termin in den Kalender, sodass du ihn auch wirklich einhältst. In dieser Zeit kannst du meditieren, einfach nur ruhige Musik hören und in Gedanken schwelgen, über ein Problem nachdenken oder dein Sportpensum absolvieren, zu dem dir sonst „die Zeit fehlt“. Manche/r wählt dafür Sonntagmorgen, andere finden einen Abend in der Woche besser.
6. Kommunikation
Wenn du mit dir selber besser in Kontakt stehst, kannst du auch andere Menschen in deinem Umfeld daran teilhaben lassen. Das ist deshalb wichtig, weil du so häufig Konflikte vermeiden kannst. Dir geht es nicht gut, deshalb überreagierst du im Gespräch mit deiner Mutter? Du hast Angst und reagierst deshalb aggressiv in der Partnerschaft? Hier gilt: rede über dein Gefühle. So wird für andere Menschen verständlicher, warum du so agierst, wie du agierst. So vermeidest du Missverständnisse und schaffst die Voraussetzungen dafür, dass dir jemand hiflt, beisteht und zuhört.
Wenn du „Selbstwahrnehmung“ googelst, findest du auch grundsätzlichere Artikel – wer bin ich? wo will ich hin? Auch das gehört zur Selbstwahrnehmung, ist aber für viele gar nicht so ein wichtiges Thema. Für mich geht das auch weiter als Selbstwahrnehmung. Mein Sinn im Leben und mein Lebenskonzept hat eher etwas mit meiner grundsätzlichen Einstellung zu tun. Es stimmt aber, dass ich mein Ziel im Leben sicher erst setzen kann, wenn ich weiß, was mir gut tut, was ich brauche
Von daher ist Selbstwahrnehmung und das Erspüren der Bedürfnisse der erste Schritt hin zu einer Lebensphilosophie, die auch zu mehr Zufriedenheit führt, denn Sinn macht glücklich.
Die Tipps aus diesem Artikel als PDF:
6 Wege zu mehr Selbstwahrnehmung
Foto: Backpacker-Portät von Shutterstock
hallo, schön und gut, was du da schreibst, aber wenn dir affirmationen schon zu anstrengend werden, und du 2 bewegungen machst und du glaubst du fällst um, ist auch schon passiert, du willst dich bewegen, – joggen!!!- aber du bist zu schwach , und nach kleienr anstrengung weißt du nicht mal wer du bist, weil dein kopf so abdrifftet??? du massive grunderkrankungen hast die du nicht mal sortieren kannst, nicht mal essen, weil alles was du einnimmst quasi zu stark für den körper sind, nur mehr auf überleben! du glaubst du bist schon verrückt??? könnte noch viel schreiben aber es strengt so massiv an verzeih alles gute lg