‚Multitasking ist eine Pseudo-Errungenschaft unserer Zeit‘, denke ich, während ich mit dem Blick aufs Tablet kopfüber meine Haare föhne.
Kannst du dir vorstellen, wie die Generationen vor uns vor dem Radio saßen und wie gebannt zuhörten? Ohne parallel zu whatsappen oder Emails zu checken?
Wann hast du dich das letzte Mal auf eine Sache konzentriert? Beim Telefonieren nichts nebenbei gemacht? Gegessen ohne zu lesen oder fernzusehen?
In diesem Moment stehen vor mir zwei Bildschirme. Im Browser habe ich acht Tabs offen. Ab und zu brummt mein Handy.
Während ich diesen Artikel schreibe, habe ich schon mindestens zwanzigmal meine Emails gecheckt, zehn Nachrichten per Whatsapp geschickt, zweimal den Radiosender gewechselt und unzählige Male auf Facebook nach dem Rechten gesehen. Immer wieder wechsle ich zwischen den Fenstern, gebe Blog-Kommentare frei, checke neue Likes, beantworte Kommentare – was man eben so tut als Blogger.
So geht es mir oft. Ich fange eine Sache an, dann fällt mir eine andere ein. Ich beginne eine dritte und beende Stunden später alle zehn offenen Baustellen – wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, vergesse ich Dinge und mache Fehler.
Mal wirklich bei einer Sache zu bleiben fällt mir schwer. Auf eine einzige Sache konzentriere ich mich eigentlich nur, wenn ich im Flow bin und z. B. programmiere oder mich unterhalte. Ansonsten mache ich alles parallel. Zumindest glaube ich das.
Second Screen – Fernsehen als Nebensache
Ich weiß nicht, wie ein Fernseh-Samstagabend deiner Kindheitserinnerungen aussieht. Ich habe ihn als Event in Erinnerung. Die Familie war mit ungeteilter Aufmerksamkeit dabei. Heute ist das Samstagabendprogramm auf Mitgestaltung per App ausgelegt: Mitraten beim Quizduell, Abstimmen für Songs bei Let’s Dance, Voten bei The Voice.
Das Fernsehen beim Fernsehen ist fast Nebensache. Vorm Fernseher sitzen und NICHTS anderes tun – geht das überhaupt noch?
Wenn du wie ich bisher an Multitasking geglaubt hast, ist es an der Zeit, die Seifenblase platzen zu lassen.
Multitasking ist ein Mythos
Viele denken, Multitasking heißt gleichzeitig zwei Dinge zu tun. Meist schalten wir aber nur schnell zwischen zwei Aufgaben hin und her. Im Auto hilft uns dabei der Tunnelblick, während wir telefonieren oder auf dem Handy tippen. Wir beobachten den Verkehr, sehen schnell aufs Handy, Verkehr, Handy, Verkehr, Handy, usw.
Damit alles halbwegs klappt, filtert unser Gehirn dabei alle Reize auf ein Maß, das wir verarbeiten können.
Eltern sind Meister des Multitaskings, da ihnen Leib und Leben ihres Nachwuchses am Herzen liegt: Während Kind 1 auf dem Gerüst turnt, ziehen sie Kind 2 die Matschhosen an, kramen nach einer Jacke zum Überziehen, essen noch schnell den angesabberten Keks und schlürfen die übrig gebliebene Saftpackung leer.
Eine ganze Zeit lang war ich ziemlich stolz auf meine Multitasking-Fähigkeiten. Schuld daran ist das Glückshormon Dopamin, das beim Multitasking ausgeschüttet wird. Ich fühle mich belohnt, wenn ich viel gleichzeitig schaffe.
Es ist schließlich auch lobenswert, viele Dinge gleichzeitig zu können, oder?
Im Job kommt es gut an, wenn man schnell switchen kann zwischen dem Anliegen des Chefs, dem Anruf des Kollegen, der Email, die gerade eintrudelt – egal, in welche Aufgabe man gerade vertieft ist war.
Was Multitasking bewirkt
Wir mögen stolz auf unsere Umschalt-Fähigkeiten sein. In Wahrheit jedoch hat Multitasking einige Nachteile:
- Unsere Reaktionsfähigkeit sinkt.
- Wir können uns gestresst fühlen, da das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird.
- Unsere Konzentration und das Ergebnis leiden.
- Die Produktivität lässt um 40 Prozent nach, das Gehirn schrumpft, der IQ sinkt.
- Manche behaupten, dass Multitasking für unseren IQ schlimmer als Marihuana oder eine schlaflose Nacht sei.
Machen wir uns also nichts vor: wir können nicht mehrere Dinge gleichzeitig wirklich gut machen.
Weitere Effekte meiner Multitasking-Versuche:
- Ich verlerne mich auf eine Sache zu konzentrieren.
- Ich verlerne zu entspannen, komme abends kaum runter.
- Es schürt noch mehr Leistungsdruck: „Wie, du schaffst das nicht?“ „Mach es doch mal nebenbei!“
- Der Selbstoptimierung sind keine Grenzen gesetzt.
- Es begünstigt Smartphone-Sucht.
- Es verschlechtert die Gesprächsatmosphäre und wirkt sich so auf persönliche Beziehungen aus.
- Es macht ungeduldig.
- Es greift auf alle Lebensbereiche über (Arbeit, Privates, Kinder).
Singletasking oder: wie du Multitasking begrenzt
Ich würde oft schneller und besser arbeiten, wenn ich mich einfach auf eine einzige Sache konzentrieren könnte. So hätte ich eine höhere Produktivität, an der ich permanent zu schrauben versuche.
Aber es ist schwer. Viele Mechanismen laufen unbewusst ab. Der Weg, um schnell etwas zu checken, ist oft viel zu kurz.
Trotzdem habe ich einige Tipps gesammelt, die dir und mir helfen können, seltener in die Multitasking-Falle zu tappen:
1. Achtsamkeit/Bewusstsein
… sind immer der erste Schritt. Der fällt mir selbst am schwersten. Bei Tipps zur Selbstbeobachtung denke ich selbst oft: ‚Das habe ich in fünf Sekunden wieder vergessen!‚
Aber du wirst nicht umhinkommen deine Aufmerksamkeit darauf zu richten, wenn du mal wieder versuchst, alles gleichzeitig zu machen. Ich muss auch erstmal merken, dass meine zehn offenen Tabs ein Indiz dafür sind, dass ich versuche zu multitasken.
Immer wenn dir auffällt, dass du gerade von deiner eigentlichen Aufgabe abschwenkst, beobachte dich dabei. Das wird dir helfen zu erkennen, wann du dich besser eine einzige Aufgabe konzentrieren solltest.
2. Sinnlose Leerlauf-Aktivitäten begrenzen
Die Hälfte der Multitasking-Phasen fällt weg, wenn wir sämtliche sinnlose Aktivitäten weglassen. Mach dir zumindest bewusst, wie überflüssig die Kombination aus Surfen, Schlagzeilen scannen & Co. beim Fernsehen sind. Patricks Anleitung, wie er sein Facebook-und-Email-Problem angeht, kann dir helfen.
3. Arbeit und Zeit einteilen
Teile deine Aufgaben besser ein. Am besten erledigst du nacheinander zusammengehörige Aufgaben in einem Schwung und nimmst dir dafür eine Stunde zu einer bestimmten Uhrzeit.
Statt wie ich ständig Emails zu checken, wäre es besser, vormittags erstmal wichtige Dinge zu erledigen und am Nachmittag gebündelt alle Emails abzuarbeiten.
4. Arbeit abgeben
Erledigst du Dinge parallel, weil du nur zu ungeduldig oder tatsächlich überlastet bist? Gib Aufgaben ab, wenn du kannst (du kannst bestimmt).
5. Power-Hour mit produktiven Phasen und Pausen
Wenn sich der Flow nicht von allein einstellt, kannst du versuchen Power-Phasen oder Sprints einzulegen.
6. Nein sagen
Du bist gerade vertieft und jemand ruft an? Geh entweder nicht ran oder erkläre kurz, warum du keine Zeit hast. Traue dich Nein zu sagen. „Ich kann jetzt nicht“ heißt nicht: „Das werde ich niemals tun“.
Weitere nützliche Tipps findest du hier.
Also noch ein guter Tipp wäre, alle Töne am Smartphone auszuschalten und auch die Benachrichtigungen die das Display anschalten. Da aus Gewonheit oft auf das Smartphone geschaut wird, bekommt man neue Nachrichten sowieso früher oder später mit. Und das meiste kann zum Beispiel auch später beantwortet und darauf reagiert werden. Das gleiche gilt für Telefonanrufe. Diese habe ich z.B. auch auf lautlos geschalten und können nicht zu Ablenkung führen. Ganz wichtige Kontakte können auch auf eine VIP oder Ausnahmeliste gesetzt werden, wenn es wirklich sein muss. So spart man sich schon einmal eine Menge an Ablenkung vom Smartphone. Dieses Konzept verfolge ich auch auf dem Laptop. Alle Einstellungen aller programme sind auf möglichst wenige Benachrichtigungen eingestellt. So jedenfalls handle ich Ablenkungen im privaten Alltag am Smartphone und Computer. Viele Grüße
Hallo Axel,
danke für die Tipps. Ja, das Smartphone ist die eine Baustelle, die wir ja auch mit unserer Challenge angegangen sind. Im Browser teste ich gerade The Great Suspender, was nicht genutzte Tabs einfriert. So kann ich nicht mehr so schnell hin- und herklicken.
LG Jasmin
Hallo Jasmin,
ich habe euren Blog erst vor kurzem entdeckt. Gefällt mir sehr gut.
Mit diesem Artikel hast du mich voll erwischt. Ich habe versucht ihn zu lesen, während ich meine RSS-Feeds durchging, gleichzeitig den Fernseher beobachtete und… Dabei habe ich mich schon oft mit den Problemen des Multitasking beschäftigt.
Besonders geholfen hat mir dabei Leo Babautas Buch: Weniger bringt mehr: Die Kunst, sich auf das Wesentliche zu beschränken.
Leider hat sich das angebliche Multitasking wieder eingeschlichen. Es ist wirklich wichtig achtsam zu sein. Natürlich hilft es, auch immer mal wieder darauf aufmerksam gemacht zu werden.
Deshalb herzlichen Dank für diesen Artikel!
Liebe Grüße
Uwe
Hallo Uwe,
danke für dein Lob! Das klingt wirklich danach, als wärest du ein typischer Multitasker. Das Leo Babautas Buch kommt auf meine Leseliste. Danke für den Tipp.
LG Jasmin
Hallo Jasmin,
ich halte es für wichtig, da konsequent zu bleiben. Häufig lege ich mein Telefon in einen anderen Raum und beantworte dort dann auch alles gebündelt. (Manche Leute sind wirklich ungeduldig, was Antworten betrifft, aber gestorben ist bisher noch niemand. ;)) Außerdem hilft es mir, meine Aufgaben mit etwaigem Zeitansatz aufzuschreiben und dann abzuarbeiten. Zwischendrin immer mal Pausen (am besten ohne Bildschirm -> ein interessanter Beitrag dazu hier: http://www.inc.com/josh-davis/to-become-more-focused-get-distracted.html?cid=sf01001 ) und dann bin ich häufig stolz auf mich, wenn ich alles schaffe. Und ja, ich bin selbst nicht immer konsequent genug. ;)
Lieber Gruß,
Philipp
Hallo Philipp,
ja, das Handy einfach gar nicht neben sich liegen zu haben, ist auch ein Ansatz. Wenn ich zu Besuch bin, mache ich das auch so. Dann verbuche ich es wahrscheinlich als legitim, nicht ranzugehen.
Danke für den Link! Schau ich mir mal an.
LG Jasmin
Hallo Jasmin,
der Artikel geht auf ein Problem unserer Gesellschaft ein. Wie du schon schreibst ist es ja geradezu ein Ideal immer alles zu können und zu machen. Damit befördert man sich aber dermaßen in ein Hamsterrad, dass es sehr negative Folgen haben kann. Eben jene, die du schon geschrieben hast.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau ob das Problem jemals gelöst werden wird bzw. es gesellschaftliche Ansätze mit Erfolg geben kann oder ob nur vereinzelt jeder für sich etwas mehr Konzentration finden kann. Ich hoffe beides.
Der Tipp mit den Sprints oder Power Hours finde ich klasse. Übertrag auf Sport: Ich persönlich mache lieber zwei bis drei harte Einheiten pro Woche und viel Pause als jeden Tag ein langes aber wenig intensives Training. Cortisol spielt da übrigens auch eine Rolle… Aber jedem das seine.
Gruß,
Ben
Hi Jasmin,
super Artikel, der mir gerade echt aus der Seele spricht. Ich kann es nicht mehr hören.
Ständig wird mir vorgeworfen, ich sei nicht multitaskingfähig genug und das müsste man heutzutage sein. Belege, dass es Multitasking gar nicht gibt interessieren dann auch niemand. Wenn ich jedoch zwei Dinge gleichzeitig mache, dann mache ich immer keins davon richtig und wenn ich eins nach dem anderen mache, dann bin ich schneller fertig und das Ergebnis ist auch besser.
Manchmal geht es jedoch einfach nicht anders. Da ist man so im Stress eine Unterlage fertig zu machen, dass man das in einem Meeting „nebenbei“ machen muss. Gerne tue ich das zwar nicht aber man kommt leider nicht immer drum herum.
Viele Grüße
Jahn
Hi Jahn, freut mich, dass dir der Artikel aus der Seele spricht. Was du geschrieben hast, kommt mir bekannt vor. Es ist schon eine Herausforderung, sich nicht zu irgendetwas hetzen oder sich etwas einreden zu lassen.
LG Jasmin
Hallo Jasmin,
danke für den interessanten Artikel.
Du hast recht: Achtsamkeit/Bewusstsein sind enorm wichtig. Leider liegt dort auch das Problem. Um achtsam und bewusst zu sein, ist ein Leben im »Jetzt« nötig – was die wenigsten Menschen beherrschen.
Unser Geist/Verstand/Denken schweift ständig vom jetzigen Moment ab und wer dem nachgibt, findet sich schnell im Multitasking wieder – die Achtsamkeit auf die gegenwärtige Handlung ist dahin.
Um den Geist zu beruhigen und Achtsamkeit zu üben, empfehle ich: Meditation.
Der Mensch ist nicht in der Lage 2 Dinge gleichzeitig zu erledigen, sondern nur schnell zwischen den beiden zu schalten. Das ist das erste was ich selber damals gelernt habe, als ich mich selber mit diesem Thema beschäftigt habe.
Der Punkt #3 ist ein sehr guter. Arbeit abgeben ist immer sehr angenehm und hilft einem enorm weiter beim vorrankommen.