Es ist nicht immer alles schön

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Um 2 Uhr in der Nacht wälze ich mich immer noch im Bett von einer Seite auf die andere. Es ist kein guter Tag gewesen, und je länger er dauert, desto dunkler werden meine Gedanken. Ich rutsche wieder in ein Tief hinein, fühle mich allein, verzweifelt und traurig. Ich will nur noch schlafen, um den Tag hinter mich zu bringen. Doch wenn man es unbedingt will, dann wird es erst recht nichts. Seit drei Stunden liege ich nun wach.

Der nächste Tag wird genauso beginnen, wie dieser Abend endet. Deshalb verspreche ich mir schon jetzt, am nächsten Morgen einen langen Spaziergang zu machen. Raus in die Natur, um die unangenehmen Gefühle wegzulaufen. Das hat schon einmal funktioniert, im Herbst vergangenen Jahres, als ich an einem Novembertag vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang draußen umherlief. Anschließend fühlte ich mich etwas besser, nicht mehr ganz so verloren. Diesen Effekt verspreche ich mir auch dieses Mal.

Nach wenigen Stunden Schlaf stehe ich auf, ziehe mich an, stecke mir ein bisschen Obst in den Rucksack und verlasse meine Wohnung. Ich laufe einfach los, durch Parks und Wälder, dabei höre ich Musik und einen Podcast, der mich aufheitern soll. Nach zwei Stunden komme ich am See an und lasse mich dort zum Frühstück nieder, wie damals im November. Als Trost esse ich ein paar ungesunde Dinge und versuche in einem Buch zu lesen.

Anschließend gehe ich zurück. Nach 20 Kilometern bin ich wieder zu Hause. Meine Füße schmerzen ein wenig und es zwickt im Unterschenkel, aber ich habe nicht die Ruhe mich um diese Zipperlein zu kümmern. Die anderen Gefühle sind immer noch zu präsent: der Druck in der Magengegend, die Traurigkeit, und die trostlosen Gedanken, aus denen diese Gefühle entstehen. Ich verspüre noch immer keine Freude, und es sieht nicht so aus, als würde sich das jemals ändern. Dieses Mal wird das Tief für immer andauern.

Aus Langeweile klappe ich meinen Laptop auf und lese meine E-Mails. Eine Bloggerin bittet uns, eine Frage für ihren Blog zu beantworten: „Was lässt dich jeden Morgen voller Freude auf den Tag aus dem Bett hüpfen?“

In diesem Moment wirkt die Frage absurd. Als sei es völlig selbstverständlich, dass wir jeden Morgen mit einem Grinsen im Gesicht aufwachen. Auch an jedem anderen Tag würde mir diese Frage missfallen. Wenn es im Internet eine Sache im Überfluss gibt, dann sind es die glücklichen Momente anderer Menschen. Die sozialen Netzwerke sind voll davon. Man kann leicht den Eindruck gewinnen, jeder sei immer glücklich.

Ich hingegen fühle mich dadurch nur einsamer, denn wäre jeder immer fröhlich, wüsste ich, dass mich nie jemand verstehen wird. Bei mir ist nicht immer alles schön, und ich kann mich nur bei Menschen gut aufgehoben fühlen, denen es genauso geht. Deshalb mag ich meine Lieblingsbücher, obwohl viele von ihnen auf einer melancholischen Note enden. Ich mag sie, weil ich die Gefühle des Autors verstehe, und vielleicht würde er auch meine verstehen. Wer weiß, in einer anderen Welt könnten wir Freunde sein. Bei manchen Musikern und Komikern empfinde ich genauso. Sie sind Künstler, die in ihrer Arbeit sowohl Freude als auch Traurigkeit ausdrücken. Ihre Werke berühren mich, weil sie beides enthalten, denn nur das ist wahr.

Mit Happy Ends hingegen kann ich in Büchern und Filmen nichts anfangen. Das echte Leben ist ja auch nicht im glücklichsten Moment vorbei. Es geht weiter, und danach kommt wieder Schmerz, auf den wiederum Freude folgt. Beides zu empfinden ist Teil des Lebens. Man kann nicht immer glücklich sein, genauso wie man nicht immer unglücklich sein kann. Beide Zustände wechseln einander ab, und kommen nicht ohne einander aus. Freude bedingt Schmerz und Schmerz bedingt Freude.

Wir versuchen immer Schmerz zu vermeiden und die Freude zu maximieren. Wir möchten am liebsten immer glücklich sein. Wer kann es uns verdenken? Das ist scheinbar der Sinn unseres Lebens. Allerdings wird der Zustand des ewigen Glücks unerreichbar bleiben, denn das Verhältnis von Glück und Leid bleibt im Großen und Ganzen immer gleich.

Anderenfalls müssten wir angesichts unserer gesellschaftlichen Fortschritte immer glücklicher werden. Die meisten von uns haben ein Dach über dem Kopf, leiden keinen Hunger, erleben keinen Krieg, und werden immer älter. Das Überleben ist wesentlich leichter geworden, als es noch vor Hundert Jahren war. Darüber hinaus genießen wir eine Menge Bequemlichkeiten im Alltag. Folglich müssten wir uns vor Glück nicht mehr retten können.

Doch am individuellen Glücksgefühl der Menschen ändert sich nichts. Die Erleichterungen der Zivilisation werden als gegeben vorausgesetzt. Wer im Wohlstand aufwächst, ist nun schon unzufrieden, wenn er ihn nicht weiter steigern kann. Wir kennen das Schwere nicht mehr, also empfinden wir das Leichte bereits als schwer. Die Skala hat sich einfach verschoben, aber das Verhältnis aus Freude und Leid ist geblieben.

Mir geht es in dieser zivilisierten Welt so gut, dass es schon absurd ist, wie sehr ich manchmal mit dem Leben hadere. An einigen Tagen fällt es mir schwer, einfach nur zu sein. Für gewöhnlich schäme ich mich dafür, denn andere sind viel schlechter dran. Doch ich beginne zu verstehen, dass Glück und Leid immer zusammen existieren. So gut es mir auch gehen mag, ich kann mich nie ganz vor dem Schmerz schützen.

Wahrscheinlich ist das sogar nützlich. Wenn sich das Glück verabschiedet, entwickle ich mich weiter. Momente der Traurigkeit sind ein Signal, dass etwas nicht stimmt, und ich etwas ändern sollte. Es ist fast so, als würde mein Unterbewusstsein mir signalisieren, es mir nicht zu gemütlich zu machen. Stattdessen soll ich meine Probleme lösen, bevor irgendwann der ganz tiefe Sturz kommt, der mein Überleben gefährdet. Das mag übertrieben klingen, doch was heute Sinnkrisen, Burnouts und Einsamkeit sind, waren früher Gefahren wie Raubtiere, Verletzungen oder Hunger. Sie alle reißen uns aus dem ewigen Glück heraus und zwingen uns zu Veränderungen, die das Überleben sichern.

Schlechte Phasen erfüllen folglich eine Funktion. Trotzdem werde ich mich auch über das nächste Tief nicht freuen. Es wird sich vermutlich wieder besonders schlimm anfühlen. So, als würde es nie mehr enden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ich wieder zurück in die Spur finde. Der Kopf regelt die Dinge. Selbst nach traumatischen Erfahrungen wie Krankheit, Trennung oder Tod erholen sich die meisten Menschen und sind anschließend genauso zufrieden wie vorher. Bei besonderen Glücksfällen ist es genauso. Die Freude hält nie lange an, sondern fällt bald auf ihr früheres Niveau zurück.

Man kann Glück eben nicht konservieren, genauso wenig wie man Schmerz verhindern kann. Beides gehört zum Lauf des Lebens, und es erleichtert mich, dass es im Leben anderer Menschen genauso zugeht. Dass auch sie nicht jeden Morgen mit Freude aus dem Bett hüpfen, sondern ihr Päckchen zu tragen haben. Ich wünschte, wir alle würden diese Erkenntnis noch besser verinnerlichen, und uns erlauben öffentlich schwach zu sein, damit wir miteinander darüber sprechen können, anstatt alle leise vor uns hin zu leiden. Bis es soweit ist, halte ich mich weiter fern von sozialen Netzwerken und fühle mich von den Autoren, Musikern und Komikern verstanden, die die normalste Weisheit der Welt aussprechen: Es ist nicht immer alles schön.


Foto: Junge Menschen springen am Strand von Shutterstock

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