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Stell dir vor, du stehst vor einer Kamera. Während du posierst, hörst du deinen Gegenüber sagen: “Super, du könntest Model werden!”
Wie reagierst du?
a) Du wirst rot.
b) Du sagst: “Ach, Quatsch. Ich steh doch hier nur.”
c) Du sagst: “Dankeschön” und freust dich.
d) Du sagst: “Oh nein, ich hoffe nicht.”
Meine Wahl fiel vor ein paar Tagen auf Antwort d). Welch sinnlose Antwort! Man stelle sich zur Untermalung das Zonk-Geräusch vor! (Kennst du nicht? Hier anhören!) Aber damit war das Gespräch natürlich nicht zu Ende. So ging es weiter:
Mein Gegenüber: “Wieso nicht?”
Ich: “Ich hoffe, dass ich mit Inhalten punkten kann.”
Er: “Na aber manchmal ist es trotzdem hilfreich, wenn die Verpackung stimmt.”
Ich (kleinlaut): “Ja, das stimmt.”
Sorry, Volly. Im Nachhinein hätte ich gern nochmal den Bleistift in die Kassette eingefädelt und zurückgespult.
Ich bin nicht besonders gut darin Komplimente anzunehmen. Es geht um den Umgang mit anerkennenden Worten, warum mir das so schwer fällt und wo es Anleitungen zum Bessermachen gibt.
Ein Paradoxum
Es ist ein Paradoxum: Im Leben geht es fast immer um Anerkennung. Doch wenn es soweit kommt, können wir es auch kaum ertragen. Jedenfalls weiß ich von einigen Menschen, dass Komplimente sie verlegen machen.
Dabei tun wir jeden Tag unser Bestes für ein Lob. Wir ziehen uns ordentlich an, machen uns zurecht, strengen uns im Job an, bekochen unseren Partner, räumen die Wohnung vor einem Besuch auf, wir mähen den Rasen, schießen ein vorteilhaftes Selfie von uns, um es auf Facebook zu teilen. Ein Lob vom Chef, vom Partner, von den Eltern, ein Like auf Facebook, ein positiver Blogkommentar – wie wär das schön!
Vielleicht geht es uns manchmal auch nur um die Vermeidung von negativem Feedback. Andererseits will insgeheim jeder von uns Anerkennung. Gern öfter und in großen Portionen!
Ich als Wettbewerbstierchen vergleiche mich oft und versuche natürlich die Beste zu sein. Aber wehe, es sagt dann mal jemand etwas!
Wenn das Selbstwertgefühl ein Sandhaufen wäre
Komplimente wären schön und gut, wenn ich sie annehmen könnte. Manchmal vergleiche ich den Abwehrmechanismus in mir mit einem Sandhaufen: Da liegt ein Haufen und mit jedem Kompliment rieseln ein paar Körner auf ihn herab, aber sie rutschen an der Seite herunter und rieseln schließlich auf den Boden. Der Haufen wird nicht höher.
Ich bin quasi imprägniert. Nur wenige Worte dringen zu mir durch. Zunächst einmal frage ich mich: Warum fällt es mir so schwer Komplimente anzunehmen?
Die Ursachen sind vielfältig. Allen voran ist mein mangelndes Selbstbewusstsein/Selbstwertgefühl zu nennen. Ich schätze meine Leistung als gewöhnlich ein und kann deshalb nicht nachvollziehen, dass jemand mich deshalb loben sollte. Darüber denke ich im entscheidenden Moment nicht nach. Es spielt sich unterbewusst ab.
Eine Psychotipps-Seite sieht weitere Ursachen dafür, dass ich Komplimente schwer annehmen kann: ich würde das Kompliment als Schleimerei ansehen, mich zur Gegenleistung verpflichtet fühlen, der Lobende sei mir nicht wichtig, ich stünde ungern im Mittelpunkt und hätte Angst arrogant zu wirken. Den letzten drei Punkten stimme ich am ehesten zu.
Aber andersherum gedacht: Ich sollte doch nicht auf Komplimente setzen, um mein Selbstwertgefühl zu steigern, oder? Mache ich mich dadurch nicht abhängig? Sollte Anerkennung für mich selbst nicht von innen kommen?
Wie im Foto-Model-Beispiel angedeutet, hat meine Reaktion nicht nur etwas mit mir zu tun. Das ist mir jetzt erst bewusst geworden. Ich verletzte unter Umständen denjenigen, der mich loben wollte. Lass uns das mal genauer ansehen.
Meine Reaktion unter der Lupe
Meine Antwort “lieber mit Inhalten punkten zu wollen” ist eine Abwertung des Kompliments. Schließlich gebe ich zu verstehen, dass mir Inhalte erstrebenswerter als Aussehen allein erscheinen. Damit greife ich indirekt das Wertesystem meines Gegenübers an. Hoffentlich richte ich in anderen Situationen weniger Schaden an!
Wenn jemand beim Training etwas Anerkennendes zu meiner Übungsausführung sagt, entgegne ich oft: “Das ist doch nichts Besonderes.” oder “Naja, ich übe das schon eine Weile.” Aus mir spricht das Gefühl meine Leistung schmälern zu müssen. Es ist wieder eine Abwertung bzw. Verkleinerung des Kompliments. Genauso muss ich mich zusammenreißen, wenn jemand meine Kochkünste lobt.
Manchmal versuche ich auch die Aufmerksamkeit meines Gegenübers auf meine Schwäche zu lenken und sage dann Dinge wie: “Ja, aber dafür kann ich … überhaupt nicht gut.”
Am leichtesten fällt es mir Anerkennung über digitalen Kanäle anzunehmen. Per Email und in den Blog-Kommentaren bekommen wir viel positives Feedback. Darüber freue ich mich jedes Mal, denn ohne dieses Feedback wären wir nicht bis hierhin gekommen. Ich fühle mich auch immer ein bisschen schlecht bzw. verpflichtet etwas zurückzugeben, aber die gewisse Distanz (anstatt unmittelbaren Gegenüberstehens) hilft mir. Es ist leichter, in Ruhe einen Kommentar oder eine Email zu verfassen und einfach nur “Danke” und noch etwas Nettes zu schreiben. Andererseits rieselt ein digitales Sandkorn noch schneller an der Seite meines Sandhaufens herunter als eines im wahren Leben.
Die ultimative Anleitung
Wenn du dich in diesem Beitrag wiedererkennst, ist die Wikihow-Seite über Ein Kompliment annehmen für dich Pflichtlektüre. Dort steht, wie du ein Kompliment Schritt für Schritt annimmst. Mehr gibt es zu diesem Thema aus meiner Sicht nicht zu sagen. Ich fasse die empfohlenen Schritt kurz zusammen:
- Verstehe, was eine Ablenkung von einem Kompliment bedeutet: (übertriebene) Bescheidenheit, Misstrauen bzw. Anderen-gefallen-wollen.
- Sieh ein Kompliment als Übung für das Selbstbewusstsein: Du bist das Kompliment wert und darfst es annehmen.
- Betrachte das Akzeptieren eines Kompliments an sich als Kompliment: du vertraust somit dem Urteilsvermögen deines Gegenübers.
- Entscheide, wie du das Kompliment annehmen willst: von “Vielen Dank, das ist sehr nett.” bis “Es ist toll zu wissen, dass es dir auch gefällt.”
- Lächele: das ist die halbe Miete beim Komplimente-annehmen.
- Hinterfragst du die Ehrlichkeit des Kompliments oder bist verwirrt, frag nach. (optional)
- Gib ein Kompliment später zurück, aber nicht sofort, da dies wie eine Abwertung wirkt. Nach einer Weile ist es aber höflich und nett.
- Ehre wem Ehre gebührt: Teile die Anerkennung mit denen, die für den Erfolg mitverantwortlich sind.
Diese Schritte klingen für mich ziemlich plausibel. Ob ich sie im Eifer des Gefechts beherzigen kann, werde ich ausprobieren müssen. Immerhin habe ich erstmals darüber nachgedacht, dass ich mit meinen bisherigen Reaktionen eher dafür sorge, dass ich so schnell keine Komplimente mehr bekomme!
Kannst du gut mit Komplimenten umgehen? Hast du Tipps für alle diejenigen, denen es schwer fällt? Schreib doch einen Kommentar!
Hallo Jasmin!
Oft fällt es uns genauso schwer ein Kompliment auszusprechen wie eines anzunehmen.
Wie oft trauen wir uns nicht, etwas Nettes zu sagen.
Wenn wir bereit sind, ein ernstgemeintes Kompliment zu verschenken, können wir auch eher eines annehmen.
So ist es zumindest bei mir!
Deshalb hier ein dickes Kompliment für den schönen Artikel =)
Liebe Grüße,
Sabine
„Ach das war doch nichts“, Sabine :-) Nein, vielen Dank für dein Lob!
meine Mutter hatte immer alles tiptop geregelt, aber das war für sie normal und kein Anlaß zur Freude über die gelungene Arbeit. Sie war Elternsprecherin und hat im Kindergarten auch ständig aktiv mitgeholfen, was – wie ich inzwischen weiß – neben den Kindern nicht nebenbei gemacht ist. Komplimente drangen auch nicht bis zu ihr durch.
Der Rest ist Geschichte, sie starb sehr jung an Krebs. Ich mache ihre Geisteshaltung dafür mitverantwortlich. Krebs läßt sich nicht gut erklären, aber ich gehe davon aus, daß es verstärkende Faktoren gibt. Ein geringes Selbstwertgefühl zähle ich dazu.
Ich habe daraus gelernt: Wenn mich jemand lobt, sage ich „danke“, und gut is. Das ist nicht schwer, und man muß ein Lob auch nicht überbewerten. Man darf es im Rahmen lassen: Die Sache war in Ordnung, der Mensch wollte nett zu mir sein, beides ist jedenfalls nicht negativ.
Freut Euch des Lebens!
Das klingt nach einer gesunden Einstellung :-)
Liebe Jasmin,
vor einigen Jahren fiel es mir auch oft noch schwer, Komplimente wirklich von ganzem Herzen und mit Freude anzunehmen. Zunächst habe ich begonnen, einfach „Danke“ zu sagen – kein Ablehnen mehr, keine Worte dagegen, einfach nur Danke. Heute kann ich aus vollem Herzen „Danke“ sagen und stelle immer wieder fest, wie ich innerlich wie äußerlich dabei zum Strahlen komme!
Und – ich habe angefangen, auch mir unbekannten Menschen immer öfter Komplimente zu schenken. Über den rot-getupften Rock, der mich so herrlich an diesem Regentag anlacht, für die Zeit, die sie sich für mich genommen haben, für den Vortrag, der mir so gut gefallen hat. Dabei erlebe ich oftmals zunächst ein ungläubiges Staunen und dann ein ganz dankbares, freudig-überraschtes „Danke“ und ein seliges Lächeln bei meinem Gegenüber.
Also: Einfach ausprobieren und öfters auch einmal einfach so auf der Straße ein Kompliment verschenken (das macht zudem auch noch selbst glücklich!)!
Alles Liebe und Danke dir, liebe Jasmin,
Sabrina
Liebe Sabrina,
ja, das ist ein guter Gedanke. Ich glaube, früher habe ich das auch gemacht – also öfter ein Kompliment an Fremde verteilt. Heute bin ich manchmal ganz schön mit mir selbst beschäftigt.
Danke für den Anstoß
LG Jasmin
Hallo Jasmin,
ich freue mich über Lob, denn ich empfange dadurch bereits Wertschätzung für meine Arbeit. Außerdem zeigt es mir, dass ich auch Unperfektes Menschen glücklich macht und ich nicht immer bis zur Erschöpfung versuchen muss, 100% zu erreichen.
Lieber Gruß,
Philipp
Schöne Seite. Interessiert mich.
Danke, Regine!
LG Jasmin
Hallo Jasmin,
vielen Dank für diesen sehr interessanten Blog. Ja auch ich kenne das nur zu gut! Man tut recht viel und vor allem für andere und würde sich sehr freuen hierfür das Lob und die Anerkennung zu erfahren die man sich wünscht. Doch wenn man eins überraschenderweise erhält ( dann von manchmal völlig anderer Seite;)) ist man innerlich aufeinmal so blockiert das man es misstrauisch hinterfragt und es dauert bis man sich richtig darüber freuen kann. In meinem Fall ist es so, das man viel zu lange abwertende Kritik erfahren hat bis man die gute Kritik gar nicht mehr annehmen konnte. Das war leider auch das Los meiner Mutter! In dem vorherigen Beitrag gibt es auch eine Paralelle zu meiner Familie. Nur hier war es kein Krebs, sondern ein Aneurysma. Ich bin sehr froh und dankbar darüber diesen Beitrag gefunden zu haben. Auch ich werde daran arbeiten öfter auch einfach Danke! zu antworten statt es meist herunterzuspielen. ☺️ Das ist wie Balsam für die geschundene Seele. ???? Vielen herzlichen Dank für diese Tolle Seite und ein ganz dickes und aufrichtiges Lob!???? LG Annika
Danke, Annika, freut mich, dass der Artikel dir gefallen hat!
LG Jasmin
Ein super interessanter Artikel, ich finde mich total wieder und habe mir vorgenommen, beim nächsten mal die goldenen Regeln zu beherzigen und bewusst darauf zu achten ! :D :) liebe Grüße lisa