Dies ist ein Gastbeitrag von Karl von www.lebenskuenstler.co.
Es ist 7:00 Uhr morgens – mein Kopf raucht. Weit über 1.000 Entscheidungen waren bereits zu treffen.
Soll ich überhaupt aufstehen? Ist jetzt der richtige Zeitpunkt? Mit welchem Fuß soll ich zuerst aufstehen – mit links, rechts oder doch mit beiden Beinen gleichzeitig? Und was kommt als nächstes? Dusche, Bad oder doch der Kaffee? Keine Ahnung. So oder so ähnlich würde es uns ergehen, wenn wir keine Gewohnheiten hätten.
Gewohnheiten helfen uns, im Alltag Entscheidungen schneller zu treffen, damit wir nicht schon morgens komplett wuki wuki im Kopf sind. Also grundsätzlich keine schlechte Sache. Doch wo ist der Haken?
Wenn der Anker feststeckt
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Kein Wunder, denn Gewohnheiten bieten uns Schutz vor der Flut der Entscheidungen. Aber wo die Flut ist, kann die Ebbe nicht weit sein. Denn wenn die Gewohnheiten überhand nehmen, hört die Überraschung auf. Es fehlt an Platz für Neues. Langeweile und Tristesse kehren im Alltag ein.
Dann wird es Zeit für eine Veränderung. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt? Und wird nicht jede Veränderung auch zur Gewohnheit? Beides gilt es zu hinterfragen.
Die Balance des Pendels überprüfen
Vor drei Jahren war ich ein überzeugter Couch Potato – und überzeugt davon, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Die tägliche 4-Stunden-Dosis Fernsehen, begleitet von einer genüsslichen Bierration, versüßten mir den Feierabend.
Als ich bei einer kleinen Silvesterwette für die Teilnahme am Wien Halbmarathon einschlug, musste ich über meine Gewohnheiten nachdenken. Denn mit dieser war kein Halbmarathon zu gewinnen, ja überhaupt zu bestreiten.
Schnell war klar, jetzt musste sich etwas ändern. Das tat es dann auch. Denn im Trainingsplan waren pro Woche vier Trainingseinheiten vorgesehen. Hoch motiviert absolvierte ich diszipliniert mein Training. Meine Leistungskurve ging steil nach oben und so konnte ich meinen ersten Halbmarathon erfolgreich absolvieren. Ich will ja nicht angeben, aber ich schaffte die 21,1 Kilometer unter 1:45 Stunden.
Höchst angetan von diesem tollen Ergebnis hat mich der Ehrgeiz gepackt. Im darauf folgenden Jahr wurde das Trainingspensum erhöht. Siehe da. Keine Leistungssteigerung wurde erreicht, sondern Schmerzen im rechten Knie haben sich aufgetan.
Bei der ursprünglich gesunden Gewohnheit Laufen hat bei mir das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen. Deshalb bin ich wieder zu meiner alten Fernseh-Bier-Kombination zurückgekehrt.
So ist das mit Gewohnheiten – wenn man sie nicht regelmäßig bewusst hinterfragt, kann sich jede noch so gesunde in eine verkehrte umwandeln.
Variationen der Gewohnheiten
Nicht nur in unsrer Freizeit, praktisch in jeder Lebenssituation begleiten uns die Gewohnheiten auf Schritt und Tritt. Wenn wir nicht aufpassen, kann sich eine Gewohnheit auch zur Sucht entwickeln.
Aus hin und wieder ein paar Überstunden im Job wird die Arbeitssucht, die genüssliche Zigarillo am Abend wird zur Nikotinsucht, das gemütliche Bierchen mit Freunden wird zur Alkoholsucht oder die ursprüngliche gesunde Ernährungsumstellung wird zur Magersucht.
Egal welche Veränderung wir vornehmen und welche dann zur Gewohnheit wird – es besteht die Gefahr, dass sich eine Gewohnheit gegen uns wendet. Nicht nur dass wir unseren Körper malträtieren, nein wir werden Gefangene unserer eigenen Gewohnheit.
Die bewusste Lebensführung hat sich verabschiedet und mit ihr ist ein Stückchen Freiheit über Bord gegangen. Denn nicht wir selbst bestimmen über unser Leben und über den Tagesablauf sondern unsere Gewohnheiten haben das Kommando übernommen. Genau deshalb gilt es, Gewohnheiten zu hinterfragen.
Grundsätzlich gibt es nur vier Arten von Gewohnheiten – selbstbestimmte, funktionale, gesellschaftliche und unappetitliche. Die einzigen, die wir wirklich gebrauchen können, sind die selbstbestimmten.
Den Rest gilt es zu hinterfragen und nötigenfalls zu ändern, um sich die Autonomie über die Gewohnheiten zurückzuholen. Denn, wenn sie selbst gewählt sind, sind sie positiv und schaffen Sicherheit. Nur so sind die der Anker in stürmischen Zeiten und bieten Geborgenheit.
Möglichkeiten zur Veränderung der Gewohnheit
Reflexion: ein Zauberwort, welches uns bei den Gewohnheiten behilflich ist. Wir können nur neue Fähigkeiten, Haltungen und Perspektiven einnehmen, indem wir uns Raum und Zeit geben und uns ständig selbst Fragen stellen.
Auch Rituale können wir gewohnheitsmäßig hinterfragen und wenn es uns gelingt, eigene schaffen. Denn sich selbst führen heißt verwalten, orientieren und gestalten. Und als Freunde des selbstbestimmten Lebens sollten wir uns gewohnheitsmäßig selbst befragen – so bleibt alles in Bewegung.
Jede Veränderung, und sei sie noch so positiv und autonom entschieden, unterliegt dennoch dem Zirkel der Gewohnheit – denn jede Veränderung wird irgendwann wieder zur Gewohnheit.
Somit hast Du zwei Möglichkeiten, um in Bewegung zu bleiben und offen für Neues zu sein.
Auf der einen Seite kannst Du schon vorher der Gewohnheit einen zeitlichen Rahmen setzen, ein Ablaufdatum für deine Gewohnheit festsetzen oder Du gewöhnst Dich an eine andere Gewohnheit – nämlich die Gewohnheit gewohnheitsmäßig zu hinterfragen.
Du führst deinen eigenen Jour fix der Gewohnheiten ein. So bleibst Du in Schwung und die bewusst gewählte Gewohnheit ist immer noch die beste. Denn die einzige Konstante in der Welt ist die Veränderung. Egal ob Moleküle, Natur oder Mensch: es gibt nur Wachstum oder Schrumpfen jedoch niemals Stillstand.
Ach ja mein Fernsehen-Laufen-Fernsehen-Pendel bewegt sich grade wieder in die andere Richtung. Ich laufe wieder. Jetzt nur mehr dreimal wöchentlich und den Wien Halbmarathon habe ich auch bestritten. So langsam wie noch nie und mit so viel Spaß wie noch nie.
Und Du, welche Gewohnheiten hast Du zum letzten Mal hinterfragt?
Liebe Grüße
Karl
Über den Autor
Hi, ich bin Karl, Student der Lebenskunst. Ich schreibe über die Kunst, das Leben zu genießen. Auf meinem Blog Lebenskünstler.at erfährst Du, wie Du Deinen persönlichen Weg der Lebenskunst findest, dem gesellschaftlichen Druck zum Abschied leise Servus sagst und mehr Gelassenheit und Heiterkeit in Dein Leben bringst!
Mehr über mich erfährst du unter: www.lebenskuenstler.co/lebenskuenstler-wer-bin-ich/
Danke für diese Inspiration, Karl.
Gut finde ich den Satz: „Wenn wir nicht aufpassen, kann sich eine Gewohnheit auch zur Sucht entwickeln.“
Ich glaube, kein Mensch ist von dieser Dynamik ganz frei.
Mir wurde mal bewußt:
Es gibt keine „neutralen“ Gewohnheiten. Entweder sie löst positive, lebensfördernde Energien in mir aus – oder destruktive.
Und einer meiner Lieblingszitate:
Sähe einen Gedanken, ernte eine Tat.
Sähe eine Tat, ernte eine Gewohnheit.
Sähe eine Gewohnheit, ernte einen Charakter.
Sähe einen Charakter, ernte ein Schicksal.
LG
Jan
Hallo Jan,
vielen Dank für Deine Worte und das Zitat. Energie ist ein gutes Stichwort. Genau darum geht es, bringt mir die Gewohnheit positive Energie oder nicht. Macht mir das Laufen Spaß, dann ist es positiv und ich behalte es bei. Und genau dieses Energielevel sollten wir regelmäßig überprüfen. Herzlichen Dank für Deinen Input. Lg Karl
Hallo Karl,
ein wunderbar denkanstoßender Beitrag. Vielen Dank! Die Pendel-Metapher gefällt mir besonders gut.
Bei genauer Betrachtung nutze ich meine (Freizeit-)Gewohnheiten in Wellenform. Ich entdecke etwas, nutze es übermäßig oft, dann folgt die Eintönigkeit und ich höre gelangweilt auf. Irgendwann fällt mir der Spaß an der Sache wieder ein und es beginnt von vorne.
Der Spaß ist meiner Meinung nach der Knackpunkt. Ich gehe auch dreimal pro Woche Laufen, aber habe ich mal überhaupt keine Lust, lasse ich es auch. Ein paar Tage später freue ich mich wieder auf den nächsten Lauf.
Viele Grüße
Steffi
Hallo Steffi,
herzlichen Dank für Deine Worte. Mit dem Spaß da gebe ich Dir recht, ohne den ist es nur der halbe Spaß;-). Lg Karl
Hallo Karl,
du hast recht, besonders der Morgen ist immer voll mit Gedanken und Entscheidungen. Das ist auch die Zeit, in der ich Routinen und gesunde Gewohnheiten besonders wichtig finde.
Denn wie du den Tag startest bestimmt über seinen weiteren Verlauf !
Und klar, sollte man auch dabei flexibel bleiben.
Aber wenn wir die wichtigsten Dinge bereits in unsere Morgenroutine integriert haben, können wir den Rest des Tages doch viel spontaner leben.
Du möchtest täglich meditieren? Mach es morgens.
Du hast beschlossen, jeden Tag einen Smoothie zu trinken? Erledige es nach dem Aufstehen. Denn wenn du es nicht gleich morgens machst, machst du es womöglich nie.
Gruß! Sabine
Hallo Sabine,
herzlichen Dank für Deine Zeilen. Es heißt ja nicht umsonst Morgenstund hat Gold im Mund;-). Lg Karl
Guter Beitrag!
Bin ganz Deiner Meinung, Karl. Gewohnheiten werden viel zu selten hinterfragt.Meiner Meinung nach sollte man sich auch und vor allem Denkgewohnheiten vornehmen. Im Gegensatz zu Tätigkeits-Gewohnheiten sind Denkgewohnheiten aber leider ziemlich schwer zu erkennen und noch schwerer zu korrigieren. Ich denke es lohnt sich trotzdem.
Gruß Jan
Hi Jan,
herzlichen Dank für Deinen Input und Deinen Ansatz. Ich gebe Dir recht, Denkgewohnheiten sind schwerer zu korrigieren. Und ja Denken lohnt sich;-). Lg Karl