Du weißt nicht, was du mit deinem Leben anfangen sollst?

Zum Beitrag

Hier kannst du dir den Beitrag anhören

Anzeige: Mein neues Buch Ich gönn‘ mir Freiheit – Wie genügsamer Konsum zu weniger Arbeit und mehr Freiheit führt. Jetzt verfügbar bei Amazon als gedrucktes Buch oder eBook.


Vor zwei Jahren war ich frei. Noch freier, als ich es heute bin. Damals hatte ich keinen Job, aber Geld, keine Beziehung, keine feste Wohnung und kaum Besitz. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. In jenem Jahr war ich in Neuseeland, Südostasien, Estland, Mexiko und noch ein paar anderen Ländern. Solange ich unterwegs war, genoss ich meine Freiheit. Ich mochte die neuen Eindrücke, die Abwechslung, und das Exotische.

Nur stillstehen durfte ich nicht, denn dann fühlte sich meine Freiheit wie eine Bürde an. Wohin sollte das alles führen? Was würde ich tun, sobald ich die Lust am Reisen verliere? Ich hätte alles machen können, aber alles ist gleichzeitig nichts, wenn man nicht weiß, was man will.

Was ich will, wusste ich damals nicht, weiß es heute nicht und eigentlich habe ich es noch nie gewusst. Wie könnte ich auch? Wer weiß schon, was er wirklich will – angesichts der Möglichkeiten? Noch nie zuvor waren wir in unseren Entscheidungen so frei wie heute. Wir können studieren, was wir wollen, für Praktika ins Ausland gehen, einen beliebigen Job wählen, uns selbständig machen, in eine andere Stadt ziehen, sogar in ein anderes Land. Wir können unsere Träume verwirklichen, unserer Leidenschaft folgen und – wenn wir dem Internet glauben – sollten wir jeden Tag so leben, als wäre es unser letzter.

Warum zu viel Freiheit uns lähmt

Auf den ersten Blick wünschen wir uns solche Möglichkeiten. Aber ich fühle mich damit manchmal gelähmt und kenne Menschen, denen es ähnlich geht. Zudem erhalten wir Nachrichten von Lesern, die von ihrer Freiheit ebenfalls überfordert sind:

„Ich habe gerade mein Abi gemacht und ich kann beim besten Willen nicht sagen, was ich machen will. Studieren? Was? Welche Uni? Ich habe Angst. Angst, das Falsche zu wählen und davor, zum Beispiel keine netten Leute kennen zu lernen oder einsam zu sein. […]

Ich habe viel Zeit und mir stehen eigentlich alle Wege offen. Und trotzdem weiß ich einfach nicht, was ich aus meinem Leben machen soll. Ich frage mich immer, was ich will, aber ich weiß es nicht.“

Ich nenne diese Leserin mal Tina. Dass sie sich nicht entscheiden kann, liegt nicht allein an ihr. Vielmehr geht es Tina wie den meisten Menschen. Das zeigt ein bekanntes Experiment von Mark Lepper und Sheena Iyengar von der Columbia University. In einem Lebensmittelgeschäft platzierten sie sechs exotische Marmeladensorten zur Verkostung. Etwa 30 Prozent der interessierten Kunden kauften mindestens ein Glas Marmelade. In einem zweiten Versuch platzierten die Wissenschaftler 24 verschiedene Marmeladensorten in dem gleichen Geschäft. Die große Auswahl wirkte noch attraktiver, daher kosteten mehr Kunden als zuvor von der Marmelade. Aber dieses Mal kauften nicht 30 Prozent der Tester ein Glas, sondern nur drei Prozent. Der Umsatz war radikal eingebrochen!

Die Kunden in diesem Experiment waren überwältigt von der großen Auswahl und hatten Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Genau diese Angst hat auch Tina, die sich nicht für ein Studium entscheiden kann. Ihr Dilemma ist allerdings ungleich größer, denn es geht nicht um einen Brotaufstrich, sondern um ihr Leben. Außerdem muss sie nicht nur aus 24 Optionen wählen, sondern aus 17.437, denn so viele Studiengänge gab es an Deutschlands Hochschulen im Wintersemester 2014/2015.

Wer die sprichwörtliche Qual der Wahl hat, hat nichts mehr zu gewinnen. Egal, für was man sich entscheidet, es ist auch immer eine Entscheidung gegen etwas anderes, das noch besser sein könnte. Im Prinzip bereuen wir die Entscheidung daher schon, bevor wir sie überhaupt getroffen haben. Dan Ariely nennt diesen Zustand „Anticipated Regret“. Es ist noch nichts passiert, aber wir haben schon Angst vor der Reue.

Infolgedessen wollen wir uns möglichst lange nicht festlegen. Wir versuchen, uns alle Türen offen zu halten. In seinem Buch Denken hilft zwar, nützt aber nichts beschreibt Ariely, dass wir uns selbst dann nicht festlegen wollen, wenn irgendeine Entscheidung besser wäre, als gar keine zu treffen. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. So macht der Abiturient von heute vielleicht erst ein soziales Jahr oder geht ins Ausland – das kann im Lebenslauf nie schaden – und wenn er sich dann entscheidet, studiert er ewig vor sich hin, und wechselt noch zweimal den Studiengang, um sich bloß nicht auf einen Job festlegen zu müssen.

So sehr Freiheit grundsätzlich zur Zufriedenheit einer Gesellschaft beiträgt, so sehr kann sie uns auch unglücklich machen, wenn wir mit ihr nicht umgehen können. Die Forscher des dänischen Happiness Research Institute beschreiben in „The Happy Danes“, weshalb die Dänen als eine der zufriedensten Nationen gelten, aber gleichzeitig überdurchschnittlich viele Antidepressiva verschrieben werden. In einer Gesellschaft, der alle Türen offen stehen, sei es besonders tragisch, wenn man an an der Freiheit verzweifelt. Der Druck ist groß, das Beste aus seinem Leben zu machen. Wer aber in Freiheit nichts reißt, wird automatisch zum Verlierer. Wer die falschen Entscheidungen trifft, ist selbst Schuld. So ein Leben kann schwer sein.

Vier Erkenntnisse, die helfen könnten

Wenn mich Leute fragen, was sie aus ihrem Leben machen sollen, habe ich darauf nicht die eine Antwort parat. Ich habe nicht einmal eine für mich. Ich weiß nicht, was ich in meinem Leben noch machen möchte. Es gibt keinen Zehnjahresplan. Aber je älter ich werde, mit desto mehr Selbstvertrauen kann ich auf einige Erkenntnisse zurückgreifen, die ich hier teilen möchte.

1. Die beste Entscheidung zu treffen ist unmöglich

Die Wahrscheinlichkeit, die beste Entscheidung zu treffen ist verschwindend gering. Ich meine, 17.437 Studiengänge! Da haben wir noch nicht einmal über Alternativen gesprochen, die kein Studium enthalten. So wie bei Tina, die nicht hundertprozentig davon überzeugt ist, studieren zu wollen. Die Jobwahl ist später auch nicht leichter.

Wenn du nicht weißt, was du mit deinem Leben anfangen sollst, liegt es nicht daran, dass du zu wenige Informationen hast. Wahrscheinlich hast du schon zu viele. Wenn alle Optionen auf dem Tisch liegen, ist es unmöglich, eine rationale Entscheidung zu treffen. Unser Verstand ist viel zu beschränkt, als dass er das könnte. Wenn du dran zweifelst, lies meinen Bauchgefühl-Artikel. Distanziere dich daher von dem Anspruch, die beste Entscheidung treffen zu wollen. Es ist nicht möglich! Reduziere deine Optionen soweit es geht und entscheide anschließend aus dem Bauch heraus. Besser wird’s nicht.

Ich hatte vor meinem Studium wenige Interessen. Ich spielte kein Instrument, trieb keinen Sport, las keine Bücher, reiste nicht um die Welt und war handwerklich unbegabt. Ich kannte nur Schule, Fernsehen und Computerspiele. In gewisser Weise machte es mir das leicht, denn ich wusste nicht zu viel. Ich hatte keine Ahnung von Leidenschaften und Träumen. Deshalb entschied ich mich für ein pragmatisches Studienfach. Etwas, das man studiert, wenn man sich für nichts interessiert: BWL.

War das die beste Entscheidung? Keine Ahnung! Ich werde nie wissen, was hätte sein können. Aber es interessiert mich auch nicht sonderlich, denn hätte ich zu jenem Zeitpunkt besser entscheiden können, hätte ich es besser gemacht!

So sehe ich heute jede meiner Entscheidungen. War es die beste Lösung, nach dem Studium in ein Startup zu gehen und nur 1.000 Euro brutto zu verdienen? War es die beste Entscheidung, anschließend eine Agentur zu gründen? War es ideal, dort das Handtuch zu werfen und um die Welt zu reisen? Ich weiß es nicht. Aber ich bereue es nicht, denn hätte ich es besser machen können, hätte ich es besser gemacht!

2. Am Ende wird alles gut

„Am Ende wird alles gut sein. Wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.“ – Oscar Wilde

Es lohnt sich, eine große Entscheidung mal aus der Ferne zu betrachten: Was bedeutet es eigentlich, sich zu entscheiden? Warum fällt es so schwer? Was kann wirklich passieren?

Hätten die Marmeladentester sich diese Fragen gestellt, wären sie bestimmt nicht verwirrt und ohne Marmelade aus dem Geschäft gegangen. Sie hätten erkannt, dass sie die Bedeutung ihrer Entscheidung überschätzen und es nicht wichtig ist, ob sie Cranberry oder Ingwer-Zitrone wählen, solange ihnen beides schmeckt. Sie hätten vermutlich eingesehen, dass sie sich zwischen ihren Favoriten willkürlich entscheiden könnten. Alles wäre besser gewesen, als keine Marmelade zu haben.

So ist es auch mit den größeren Fragen des Lebens. Die Bedeutung einer Entscheidung wird häufig überschätzt. Junge Menschen scheinen zu glauben, sich mit einem Studiengang oder dem ersten Job für immer und ewig auf etwas festzulegen. Doch keine dieser Entscheidungen bestimmt über ein ganzes Leben. Ein Studium muss nicht einen bestimmten Beruf nach sich ziehen und der erste Job ist gewiss nicht für immer. Vielmehr ist das Leben eine lange Reihe kleiner und großer Entscheidungen. Mit jeder dieser Entscheidungen entsteht für dich eine neue Realität, die nicht besser oder schlechter ist als andere Realitäten. Sie ist lediglich deine Realität und die Grundlage für weitere Entscheidungen.

Bevor ich mich damals für ein Berufsakademiestudium bei den Berliner Wasserbetrieben entschied, hatte ich ein Angebot von Siemens in München für eine Ausbildung mit einem parallelen Studium. Der Abschluss wäre besser gewesen, das Unternehmen war renommierter und sehr wahrscheinlich hätte ich im Anschluss dort bleiben können, während die Berliner Wasserbetriebe keinen ihrer Studenten übernahmen. Objektiv wäre Siemens die bessere Entscheidung gewesen. Ich habe mich allerdings nicht getraut und das attraktivere Angebot ausgeschlagen. Geschadet hat’s mir nicht. Ich bin trotzdem zufrieden damit, wie alles gekommen ist. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, hätte ich mich für Siemens entschieden. Alles wäre anders gekommen. Ich wäre vielleicht nie selbständig geworden, nicht um die Welt gereist, würde nicht in Leipzig leben, hätte andere Freunde, aber es wäre bestimmt trotzdem gut geworden.

Auch nachdem ich mich für die Berliner Wasserbetriebe entschieden hatte, war nicht der Rest meines Lebens vorbestimmt. Es war sehr wahrscheinlich, dass ich eine Konzernkarriere einschlagen würde. Doch es kam anders, weil nach meinem Diplom noch etliche Entscheidungen folgten, die mich zum Startup-Mitarbeiter, Selbständigen, Agenturinhaber, Weltreisenden und Blogger machten. Diese traf ich nicht willkürlich, sondern wenn ich mit irgendetwas unzufrieden war oder anderswo eine Chance erkannte.

Jede Entscheidung beeinflusst dein Leben, aber du kannst nie über einen langen Zeitraum voraussagen, was sie dir bringen wird. Hätte ich vor zehn Jahren einen Zehnjahresplan aufgestellt, wäre das Ziel mit Sicherheit nicht gewesen, Blogger und Autor zu werden.

Eine Entscheidung, so groß sie auch erscheinen mag, bestimmt nicht über Glück oder Unglück. Sie ist nur ein Schritt auf deinem Lebensweg. Du hast jeden Tag wieder die Gelegenheit, eine weitere Abzweigung zu gehen und am Ende wird alles gut sein.

3. Hauptsache du machst was

Zu wissen, was du machen willst, ist gut, aber nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass du überhaupt etwas machst. Lass dich nicht von deiner Freiheit lähmen, sondern komme ins Tun. Mach irgendwas, das dir halbwegs richtig erscheint.

Interessen entwickeln sich beim Tun. Bevor ich mit dem Online Marketing begann, wusste ich nicht, dass mir das Spaß machen würde. Bis zu meinem ersten Tag im Büro wusste ich nicht einmal, was es damit auf sich hat. Nach der Jobzusage las ich bei Wikipedia, was mich erwarten würde. Damals gab es kaum Informationen im Netz, aber das Unternehmen fühlte sich für mich richtig an. Deshalb schrieb ich eine Bewerbung. Es war die einzige Bewerbung, die nicht an einen Konzern ging. Ich bekam die Zusage und nahm ein absurd geringes Gehalt in Kauf. Nach kurzer Zeit war ich schon voll drin, lernte viel und machte meine Arbeit gut. Schnell entwickelte ich die Lust, auch zu Hause weiterzumachen. Daraus entstand später meine Selbständigkeit.

Mit dem Bloggen war es genauso. Es war nie mein Traum Blogger und Autor zu werden. Im Gegenteil, als ich damals für unseren Agenturblog schreiben musste, empfand ich es meist als Qual. Ich wuchs ins Schreiben hinein, nachdem ich damit begonnen hatte. 101 Places war zunächst ein kleiner Blog für Freunde und Familie. Mit der Zeit nahm ich die Aufgabe ernster, bemühte mich mehr und erntete den Erfolg. Jetzt betreibe ich mit Healthy Habits meinen dritten Blog und habe mehrere Bücher geschrieben. Ohne jemals davon geträumt zu haben.

Falls du schon eine Ahnung hast, was du gern tun möchtest oder gar Tausend Dinge tun willst, such dir etwas davon aus und fang an. Du musst nicht gleich dein ganzes Leben darauf verwetten, sondern nur anfangen. Mal den kleinen Zeh ins Wasser halten. Du wirst schnell merken, ob es so schön ist, wie du es dir vorgestellt hast.

Der Autor Scott Adams schwört darauf, nach Systemen zu leben, wenn man nicht weiß, was man will. Diese Systeme erhöhen seine Chancen, die Dinge zu erleben, die er wirklich will.

Angenommen, du möchtest Autor werden. Anstatt dir vorzunehmen, einen Bestseller zu schreiben, solltest du nach dem System „Autor“ leben. Was machen Autoren? Schreiben, schreiben, schreiben. Und sicher ein paar andere Dinge wie Lesen, Schreiben lernen, sich mit Autoren austauschen. Aber vor allem Schreiben. Ob daraus ein Bestseller entsteht, wird man sehen. Aber nur vom Ziel „Bestseller“ kommt auch nichts.

Das Fazit meines Ratschlags ist: Lass dich nicht lähmen. Denke nicht über alle Optionen nach, sondern komme ins Tun.

Weitere Inspiration in diese Richtung findest du in meinem Text über das menschliche Potential: Warum es keine Naturtalente gibt und wie wir selbst außergewöhnliche Fähigkeiten entwickeln können.

4. Andere Dinge sind wichtiger

Die Bedeutung von Karriere wird aus meiner heutigen Sicht überschätzt. In seinen 20ern mag man noch voller Tatendrang sein und meinen, sich über die Arbeit zu definieren. So war das bei mir auch. Aber irgendwann kam die Einsicht: alles nicht so wichtig.

Seien wir mal ehrlich: Wir wollen alle glücklich sein. Das ist das ultimative Oberziel. Mit verschiedenen Mitteln versuchen wir, dieses Ziel zu erreichen. Ein Job, der immer Spaß macht, uns viele Freiheiten lässt und auch noch Geld bringt, soll oft ein solches Mittel sein. Aber häufig sind wir auf dem Holzweg. Wir reden uns immer wieder ein, womit wir glücklich sein würden, nur um später festzustellen, dass wir es nicht sind. Meine vollständige Argumentation dazu findest du in dem Text Schiebst du dein Glück vor dir her?.

Ich habe irgendwann festgestellt, dass eine Karriere nur begrenzt wichtig ist. Sie ist eigentlich kein Mittel, um glücklich zu werden, sondern hauptsächlich, um sich finanzieller Sorgen zu entledigen und folglich mehr Zeit für Dinge zu haben, die tatsächlich glücklich machen. Das bin ich, wenn ich etwas für meine Gesundheit mache, lerne, erlebe und liebe Menschen um mich herum habe. Früher oder später gelangt vielleicht jeder zu dieser Erkenntnis und wird sich dann fragen:

„Warum habe ich mir damals eigentlich diesen Stress gemacht?“


Foto: Traumjob von Shutterstock

Ähnliche Artikel

44 Comments

Comments are closed.