Wie eine Psychotherapie abläuft (und was du nicht erwarten solltest)

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Aus Filmen und Serien haben viele Menschen eine verzerrte Vorstellung von einer Psychotherapie: Der Patient, meistens der wohlhabenden Oberschicht angehörig, liegt auf einer roten Couch und heult sich über mehr oder weniger banale Probleme aus. Der Therapeut kämpft entweder mit dem Schlaf oder ist ein ständig erreichbarer Ersatzfreund – eine Selbstverständlichkeit und Prestige-Symbol zugleich. Im Zweifelsfall läuft irgendwann mehr.

Mit meinen Erfahrungen deckt sich dieses Bild nicht im Ansatz. Meine Therapie verlief nicht amerikanisch-cool, sondern eher bürokratisch, unspektakulär und: im Sitzen.

Woher sollen Außenstehende es auch besser wissen? Es ist und bleibt ein Tabu-Thema. Irgendwie unangenehm. Peinlich. Ich kenne einige Personen mit Therapie-Erfahrung, aber niemanden, der auf seine Therapie stolz ist.

Als ich vor anderthalb Jahren eine kognitive Verhaltenstherapie anfing, war ich sehr verunsichert. Ich hatte keinen Schimmer, wie das Ganze ablaufen würde. Wie bei so vielen Themen rund um Depressionen und Burnout fand ich im Internet wenig bis nichts Brauchbares. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich heute überwinde und meine Erfahrungen teile.

Vielleicht hast du selbst Burnout-Symptome und überlegst eine Therapie zu machen. Dann erfährst du, wie das Prozedere funktioniert und was die Therapie (nicht) leisten kann. Oder du möchtest jemanden besser verstehen, der gerade in Behandlung ist? In jedem Fall soll dieser Erfahrungsbericht zur Aufklärung und Demystifizierung des Themas beitragen.

Der Weg zur Therapie

Als Erstes überlegte ich ein paar Wochen lang – und ging schließlich zu meiner Hausärztin, um meine Symptome zu schildern. Sie machte mir schnell verständlich, dass sie mir fachlich nicht weiterhelfen könne, aber hinter mir stehen und mich so lange wie nötig krankschreiben würde. Weiterhin riet sie mir zu einer Psychotherapie. Da die Nachfrage nach Therapeuten derzeit das Angebot weit übersteigt, rechnete sie mit einer langen Wartezeit. Doch ich sollte Glück haben.

Noch an diesem Tag zapfte mir meine Hausärztin Blut ab und schickte es ins Labor – eine Notwendigkeit vor jeder Therapie. Es soll über das Blutbild ausgeschlossen werden, dass bloß die Schilddrüse nicht richtig arbeitet und die depressive Stimmung verursacht. Meine Werte waren jedenfalls in Ordnung.

Über zwei Ecken bekam ich eine Empfehlung für eine Therapeutin in der Nähe von meinem Zuhause. Ich kämpfte ein paar Tage mit mir, überwand mich schließlich anzurufen und hatte Glück: zwei Wochen später konnte ich zu einem Erstgespräch vorbeikommen.

Im Erstgespräch erklärte die Therapeutin mir das Prinzip der kognitiven Verhaltenstherapie. Laut Wikipedia sind die Schwerpunkte sich dessen bewusst zu machen, was im Kopf passiert, das zu überprüfen und irrationale Einstellungen zu korrigieren. Schließlich soll die Korrektur ins Verhalten überführt werden. In der Praxis hieß das für mich am Beispiel meines Jobs: ich musste erstmal meine Situation sowie meine irrationalen Gedanken („Aber ich kann da doch nicht weg!“) analysieren. Diese konnte ich dann korrigieren („Ich kann sehr wohl weg!“) und die praktischen Konsequenzen ziehen (Gesprächstermin, kündigen, Wohnung auflösen).

Mir waren 25 Sitzungen bewilligt worden (es gibt auch 50 Sitzungen in schwerwiegenden Fällen), die sich mit einer Sitzung pro Woche über ein gutes halbes Jahr erstrecken würden. Die Therapeutin wies mich auch darauf hin, dass ich bis zu fünf probatorische Sitzungen wahrnehmen könne ohne mich für sie als Therapeutin entscheiden zu müssen. Wichtig sei, dass die Chemie zwischen dem Patienten und dem Therapeuten stimme. Das mache 60% des Erfolges aus.

Ich hatte sofort ein gutes Gefühl. Das Gespräch und die Atmosphäre empfand ich als angenehm. Daher entschied ich mich schon nach der ersten Sitzung.

Bürokratie und Angst vor dem MDK

Dann folgte eine Menge Schriftkram. Ich musste abwechselnd von meiner Hausärztin und der Therapeutin diverse Formulare ausfüllen lassen, was mir damals ziemlich belastend vorkam. Allerdings war ich auch nicht im Vollbesitz meiner Kräfte und hatte mit jeder Form von Bürokratie zu kämpfen. Im Nachhinein denke ich, dass der Aufwand überschaubar war.

Kurze Zeit später warf mich ein Anruf meiner Krankenkasse aus der Bahn. Eine Mitarbeiterin erkundigte sich, ob ich schon einen Therapieplatz gefunden hätte oder ob mir die probatorischen Sitzungen schon reichen würden. Sofort fühlte ich mich schuldig und kam mir wie eine Simulantin vor.

Zum Glück konnte ich den Vorfall schon mit meiner Therapeutin besprechen. Sie regte sich sehr darüber auf, da solche Kontrollanrufe kontraproduktiv seien. Schließlich sei ein Symptom der Krankheit, dass man daran zweifle, krank zu sein. Diese Zweifel würden durch die Anrufe nur befeuert.

Als weitere Belastung empfand ich das Thema Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Diese musste ich regelmäßig, d. h. alle ein bis zwei Wochen von meiner Hausärztin besorgen und an meine Krankenkasse schicken. Ständig hatte ich Angst, dass diese einschreiten und überprüfen würde, ob ich wirklich arbeitsunfähig sei. Ich las im Internet Horrorstorys über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK): Dort berichteten Depressive, dass Ärzte sie Kniebeuge machen ließen und behaupteten: “Sie können doch arbeiten!”

Letztendlich hatte ich Glück und wurde davon verschont. Bei knapp einem halben Jahr Arbeitsunfähigkeit gehörte ich vielleicht noch zu den harmlosen Fällen.

Wie meine Therapie ablief

Die erste Sitzung begann mit meiner Biografie. Ich erinnere mich noch gut an die erste Frage: „Wissen Sie, ob Sie ein Wunschkind waren?“ Weiterhin musste ich mich erinnern, wie ich als Kind bestraft wurde, wie ich einen Umzug, den Schulwechsel und die Trennung der Eltern erlebte. Erst nach insgesamt vier oder fünf Sitzungen waren wir damit fertig.

Daraufhin stellte mir meine Therapeutin ihr Störungsbild vor: ihre Theorie, was bei mir im Argen läge, sowie die Zielsetzung der Sitzungen.

Bei jedem Termin besprachen wir aber auch aktuelle Situationen, Probleme, Sorgen und Ängste. Nach der Biografie drehte sich dann alles um Dinge aus dem Alltag. Wir analysierten, wie ich in Konflikten (besser) reagieren könnte, was ich in Gesprächen zu Person XY sagen könnte, wie ich mich im Fall Z verhalten könnte usw. Wir bereiteten auch unangenehme Termine vor, wie z. B. mein Kündigungsgespräch. Wir sprachen alles durch, sortierten meine Argumente, klärten meine Taktik.

Das Ziel war schwierige Alltagssituationen besser zu bewältigen. Davon erlebte ich jede Menge zu dieser Zeit (so kam es mir zumindest vor): mein Schlüssel wurde beim Umzug gestohlen, meine Versicherung wollte nicht zahlen, es gab familiäre Konflikte, ich war dann einen Monat arbeitslos, musste 5 Kilogramm Formulare ausfüllen, musste mich für oder gegen eine Selbständigkeit entscheiden uvm.

Eine weitere Hausaufgabe von Beginn an war: Dinge zu tun, die mir guttun. Ich sollte schöne Sachen unternehmen, mich mit Freunden treffen, Hobbys wiederaufleben lassen. So sollte meine Stimmung sich verbessern und meine positive Wahrnehmung stärker werden.

Gegen Ende der 25 Sitzungen à 45 Minuten konnte ich schon erahnen, was meine Therapeutin zu einer beliebigen Situation sagen würde. Wir hatten oft genug über die gleichen Themen geredet.

Seit Ende der Therapie bin ich daher auch nicht wieder bei ihr gewesen, denn ich kann mir schon vorstellen, was sie sagen würde. Sie ist das imaginäre Engelchen auf meiner Schulter, das mir sagt, was zu tun ist. Manchmal ist die Stimme leise, aber wenn ich mich konzentriere, höre ich sie wieder.


Jetzt, wo du meine Erfahrungen kennst, will ich noch ein paar Chancen und Grenzen der Therapie aus meiner Sicht beleuchten.

Was eine Therapie bringt

  1. Auseinandersetzen: Statt Probleme totzuschweigen wirst du gezwungen, dich mit ihnen zu befassen und aktiv zu werden.
  2. Verhalten hinterfragen: Nur weil du seit Jahrzehnten so handelst, wie du handelst, muss es nicht richtig sein. Unter Anleitung durchleuchtest du dein Verhalten und passt es an.
  3. Legitimation: Manchmal braucht es einen Experten, der dir die Erlaubnis gibt Nein zu sagen, dich abzugrenzen und einen gesunden Egoismus an den Tag zu legen.
  4. Fachkundige Außenmeinung: Auch wenn es hauptsächlich auf die Chemie ankommt, helfen dir auch das Fachwissen und die Erfahrung des Therapeuten.
  5. Entlastung: Bevor ich die Therapie machte, heulte ich mich bei der Familie, bei Freunden und Kollegen aus. Die können aber nicht helfen, wenn es ernste Probleme gibt.
  6. Anstöße: Wie oft sagen wir: “Ich müsste mal” und fangen doch nie damit an. Ein Profi kann den notwendigen Anstoß zur Veränderung geben.
  7. Unterstützung: Man hat jemanden auf seiner Seite, der nicht kritisiert, sondern berät und unterstützt. Das bietet Raum für Offenheit und Lockerlassen. Du kannst ehrlich sein und dich verwundbar machen.

Was eine Therapie nicht leisten kann

  1. Es löst Probleme nicht in Luft auf: Familiäre Probleme oder Konflikte auf Arbeit lösen sich nicht von selbst. Du lernst lediglich, wie du besser damit umgehen oder dich entziehen kannst.
  2. Es geht nicht nur (schnell) bergauf: Ab Sitzung 1 wird nicht alles sofort besser. Anfängliche Euphorie kommt vor, aber der Weg ist steinig und lang. Es kommen auch weiterhin Tiefs, die im günstigen Fall aber nicht mehr so tief und nicht mehr so lang sind.
  3. Es ist kein Ersatz für Sozialleben: Ein Therapeut ersetzt keine/n Freund/in, keinen Partner, keine Familie.
  4. Es ist keine Lösung auf Dauer: Ein Therapeut kann nicht lebenslang zur Seite stehen, sondern ist nur eine Unterstützung auf Zeit.

Die wichtigsten Tipps

  1. Welche Therapie: Informiere dich bzw. lass dich beraten, welche Form der Therapie sinnvoll ist. Je nach Art des Problems kann der tiefenpsychologische Ansatz besser für dich geeignet sein als die häufiger anzutreffende kognitive Verhaltenstherapie.
  2. Suche einen Therapeuten in deiner Nähe: Da du mindestens ein halbes Jahr lang zur Praxis musst, ist es sinnvoll, den Weg so kurz wie möglich zu halten.
  3. Alles oder nichts: Lass dich darauf ein, von Anfang an. So kommst du am schnellsten voran.

Ich hoffe, du wirst diesen Erfahrungsbericht nie für dich selbst brauchen. Falls doch, hoffe ich, dir vielleicht ein paar Bedenken genommen und für etwas mehr Klarheit gesorgt zu haben. In jedem Fall wünsche ich dir viel Kraft. Lass mal von dir lesen!


Foto: Psychologin von Shutterstock

 

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